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17.03.2016

Eine Kammer für Physiotherapeuten – der richtige Weg?

Spätestens seit der erheblichen Kontroverse der pflegenden Berufe in Deutschland zum Thema Verkammerung steht dieses Thema auch für die Heilmittelerbringer, und somit für Physiotherapeuten auf der Tagesordnung.

Spätestens seit der erheblichen Kontroverse der pflegenden Berufe in Deutschland zum Thema Verkammerung steht dieses Thema auch für die Heilmittelerbringer, und somit für Physiotherapeuten auf der Tagesordnung.

Aktuell gewinnt dieses Thema wieder an Bedeutung, da die Firma Buchner und andere die Gründung einer Kammer für Heilmittelerbringer und somit für Physiotherapeuten in Schleswig-Holstein stark bewerben.

Diese Veröffentlichungen führen teilweise zu Zustimmung, aber insbesondere in internetgestützten Informationssystemen auch zu erheblicher Ablehnung.

Physio Deutschland in Form des ZVK-Nordverbundes hält sich in der Bewertung über die Gründung von Berufskammern für Physiotherapeuten und andere Heilmittelerbringer zurück. Bereits vor einigen Jahren haben wir im Rahmen der Vorbereitung unserer Mitgliederversammlungen sehr umfassend über das Thema informiert. Hierbei haben wir viele Primärquellen verwendet. Die entsprechenden Unterlagen und die damalige Anmoderation finden Sie hier auf unserer Homepage.

Bei der Diskussion pro und contra Kammer fällt auf, dass die Befürworter einer Verkammerung sehr optimistisch hinsichtlich der Vorteile und insbesondere in Bezug auf die Funktion einer solchen Berufskammer sind. Es wird immer wieder vorgetragen, dass eine Kammer per se in sämtliche politischen Entscheidungen in einem Bundesland eingebunden sei, und damit tatsächlich politische Vertretung wäre. Diese Auffassung entspricht aber in der Regel nicht den sogenannten Kammergesetzen.

Es besteht also die Gefahr, dass hier eine zu optimistische Einschätzung über die politische Bedeutung einer Kammer für Heilmittelerbringer der Diskussion zugrunde liegt.

Außerdem muss darauf hingewiesen werden, dass sämtliche relevanten Gesetze für die Heilmittelerbringer Bundesgesetze sind, und diese werden bekanntlich nicht im Lande Schleswig-Holstein oder einem anderen Bundesland, sondern in der Bundeshauptstadt im Bundestag beschlossen.

Nach Einschätzung des ZVK-Nordverbundes betrifft die Kammerdiskussion auch nicht die dringlichsten Probleme der Branche.

Aus unserer Sicht muss die Vergütung physiotherapeutischer Leistungen sowohl im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung als auch im Bereich der Privatpatienten deutlich steigen. Nur eine auskömmliche Vergütung physiotherapeutischer Leistungen kann dazu führen, dass der drohende Fachkräftemangel noch abgewendet wird. Bereits heute können viele freigewordene Stellen zumindest im Bereich der Physiotherapie von unseren Praxisinhabern nicht mehr besetzt werden.

Neben unserem Anspruch auf auskömmliche Vergütung physiotherapeutischer Leistungen spielt auch die Forderung nach mehr Emanzipation von der ärztlichen „Verordnungshoheit“ eine große berufsständische Rolle.

Diese beiden großen Themen der Physiotherapie – die wertschätzende Vergütung von Physiotherapeuten inklusive Gehältern, die nicht in Altersarmut münden, und die emanzipatorischen Prozesse gegenüber der ärztlichen Verordnungshoheit – sind überhaupt keine Themen, die in den Bereich einer Kammer gehören. Wer entsprechend argumentiert, hat sich entweder nicht ausreichend informiert oder vertritt eine Position wider besseres Wissen.

In ständiger Rechtsprechung, ausgehend vom Bundesverfassungsgericht über das Bundesverwaltungsgericht bis hin zu den Verwaltungsgerichten, werden Kammern immer dann sofort reglementiert, wenn sie sich außerhalb ihres Kerngeschäftes bewegen. Dies wird nachvollziehbar damit begründet, dass eine Kammer eine Zwangsmitgliedschaft für jeden Berufsangehörigen bedeutet, und Zwangsmitgliedschaft bedeutet Zwangsbeiträge. Und wer sich nicht mehr entscheiden kann, ob er bei einer Kammer Mitglied ist oder nicht – man kann sich nicht entscheiden! – der kann zumindest verlangen, dass die Kammer nur Gelder für Themen verwendet, die allen Berufsangehörigen gleichermaßen zugutekommen.

Es mag zwar für viele Gegner einer Kammer ein Hauptargument sein, dass die Kammer Zwangsmitgliedschaften und Zwangsbeiträge bedeutet, aber wir halten dieses Argument für zu kurz gesprungen.

Für uns ist viel bedeutsamer, dass die Kammer sich in Wirklichkeit bei ihrer Themenauswahl und bei ihrer öffentlichen Darstellung stark zurückhalten muss. Die klassischen Aufgaben einer Kammer sind die inhaltliche Regelung der Fort- und Weiterbildung und damit der Qualitätssicherung der Versorgung. Wer dafür mit zuständig ist, muss natürlich auch bei Fragen der Ausbildung gehört werden. Dies ist aus berufsständischer Sicht nicht unwichtig, ändert aber nichts beim Thema leistungsgerechte Vergütung in der Physiotherapie oder dem Direktzugang.

Kammern sind für die Berufsaufsicht der Berufsangehörigen verantwortlich. Die Kammer ist somit „Polizei“ des Berufes. Hier stellt sich zumindest vordergründig die Frage, was eine „Berufspolizei“ genau überwachen soll, wenn dem Beruf bisher eine eigenständige Tätigkeit ohne ärztliche Verordnung kaum zugebilligt wird.

Deshalb steht der ZVK-Nordverbund auf dem Standpunkt, man möge die im Rahmen einer Verkammerung entstehenden Änderungspotentiale nicht zu optimistisch einschätzen.

Diese politische Selbstreflektion ist auch deshalb notwendig, weil eine Kammer, die einmal gegründet worden ist, nicht mehr abgeschafft werden kann.

Der ZVK-Nordverbund ist eine politische Organisation und bei der Frage pro oder contra Verkammerung eher zur Zurückhaltung verpflichtet. Wir empfehlen aber allen, die sich aktuell für eine Kammer aussprechen, noch einmal selbst zu reflektieren, ob wirklich alle Argumente, die scheinbar für eine Verkammerung sprechen, auch tatsächlich zu den Aufgaben einer Kammer gehören, oder ob man hier nicht optimistisch oder unseriös argumentiert.

Zum anderen haben sich in den letzten Jahren die Pflegekräfte nach langen und sehr kontroversen Diskussionen für Kammern entschieden, sie werden gerade gegründet.

In Rheinland-Pfalz wird es zur ersten Verkammerung von Heilmittelerbringern kommen.

Daher empfehlen wir allen unseren Mitgliedern und allen Physiotherapeuten in Norddeutschland, sich dafür einzusetzen, dass diese Entwicklung sowohl bei der Pflege als auch in Rheinland-Pfalz erst einmal abgewartet wird, und die Physiotherapeuten und anderen Heilmittelerbringer in Norddeutschland dann entweder auf der Grundlage guter oder eben schlechter Erfahrungen der Pflegekräfte und der Kollegen aus Rheinland-Pfalz ihre Entscheidung treffen.

Deshalb steht der ZVK-Nordverbund für aktuelle Zurückhaltung bei der Forderung nach einer Zwangskammer. Erst wenn es wirklich positive Beispiele dafür gibt, dass eine Kammerbildung deutlich mehr Vor- als Nachteile bringt, werden wir uns aktiv für eine Kammer einsetzen.

 

ZVK-Nordverbund im März 2016