BGB-Gesellschaften werden bei Physiotherapeutin immer beliebter!
Vorsicht: Warum Musterverträge gefährlich sind.
Neben der inhaltlichen Ausgestaltung der Physiotherapie unterliegen auch die innerbetrieblichen Organisationsformen physiotherapeutischer Praxen einem permanenten Anpassungsprozess. In der Vergangenheit war die Mehrheit der Praxen als Einzelpraxis organisiert, das heißt mit einem allein verantwortlichen Inhaber. Heutzutage geht der Trend im Bereich der selbstständig tätigen Heilmittelerbringer hin zu Zusammenschlüssen und zur Gründung von BGB-Gesellschaften.
In Teilen ist dieser Trend auch den neuen Kooperationsformen zwischen Heilmittelerbringern untereinander (interdisziplinäre Gesellschaften) und zwischen Heilmittelerbringern und Heilpraktikern (inkl. Teilheilpraktikern/Physiotherapie) geschuldet.
Viele Physiotherapeuten, die mit Kollegen zusammenarbeiten, wissen gar nicht, dass sie schon längst eine GbR – eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts – begründet haben. Andere wiederum glauben, in einer Praxisgemeinschaft organisiert zu sein, sind aber tatsächlich Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis.
Viele BGB-Gesellschaften funktionieren ohne jeglichen schriftlichen Gesellschaftsvertrag, andere haben Gesellschaftsverträge, die aus Musterverträgen oder von Kollegen übernommen wurden. Häufig erfahren die beteiligten Praxismitinhaber dann sehr schmerzlich, dass eine genaue und kompetente Gestaltung von Gesellschaftsverträgen sinnvoll ist – alles andere kann ruinöse Ergebnisse mit sich bringen.
Musterverträge bergen immer die Gefahr in sich, dass Regelungen benutzt werden, von denen die Gesellschafter nicht einmal im Ansatz wissen, was sie rechtlich bedeuten und welche Rechtsfolgen (im Guten wie im Schlechten) damit verbunden sind.
Deshalb soll hier eine Übersicht über die einzelnen Gestaltungsbereiche Klarheit schaffen:
Die Praxisgemeinschaft
In einer Praxisgemeinschaft schließen sich rechtlich eigenständige Physiotherapeuten (Leistungserbringer) zur gemeinsamen Nutzung der Praxisausstattung und der Mieträume zusammen. Es bestehen zwei oder mehrere Einzelpraxen nebeneinander. Sie teilen sich häufig lediglich die Praxisräume und manchmal das Personal.
Vertraglich ist vor allem zu regeln, in welchem Umfang die Praxisräume, insbesondere die Behandlungsräume von dem jeweiligen Mitgesellschafter genutzt werden können. Die Erfahrung zeigt, dass genaue Abgrenzungen hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeiten der vorhandenen Raumkapazitäten häufig nur sehr unzulänglich vorgenommen werden. Im Krisenfall – bei der Auseinandersetzung mit dem Mitgesellschafter – führt dies häufig dazu, dass Unsicherheit hinsichtlich der Rechte und Pflichten eines jeden Gesellschafters entsteht. Eine genaue und dezidierte Raumnutzungsverteilung (mit nachvollziehbaren zeitlichen Nutzungsmöglichkeiten) ist zwingend anzuraten.
Es sollte ferner eine detaillierte schriftliche Aufstellung geben, welche Kostenanteile der jeweilige Gesellschafter monatlich zu tragen hat. In der Regel werden dies Mietzahlungen sein. Es können aber auch weitere laufende Verbindlichkeiten entstehen, die im physiotherapeutischen Tagesgeschäft übersehen oder nicht schriftlich festgehalten werden.
Auch die Gestaltung der gemeinschaftlich genutzten Räume sollte lieber zu ausführlich als zu unzulänglich schriftlich niedergelegt werden. Wenn im Streitfall das Praxisklima aus ganz anderen Gründen ohnehin schon negativ belastet ist, werden die Kinderbilder der einen Gesellschafterin in einem der Behandlungsräume der anderen Gesellschafterin schnell zu einem Krisenfall – von Nebelschwaden von Räucherstäbchen ganz zu schweigen.
So weit muss es aber nicht kommen, wenn im Gesellschaftsvertrag eine Regelung enthalten ist, dass die farbliche und persönliche Ausgestaltung von einer bestimmten Gesellschafterin allein vorgenommen werden kann.
Auch bei den Trennungsmöglichkeiten in der Praxisgemeinschaft werden häufig existenzielle Fehler begangen. Die Kündigungsmöglichkeiten der Praxisgemeinschaft müssen mit den Kündigungsmöglichkeiten des eventuell gemeinschaftlich abgeschlossenen Mietvertrages im Einklang stehen. Es hat keinen Sinn, eine Praxisgemeinschaft kündigen zu können, um die Gemeinschaft zu verlassen, wenn nicht gleichzeitig auch die Möglichkeit besteht, die mietvertraglichen Bindungen aufzukündigen.
Ein weiterer Konfliktpunkt bei Praxisgemeinschaften, die über gemeinsame Telefonnummern verfügen, ist in Krisensituationen die Zuweisung von Patienten. Die Frage, zu wem ein Patient gehört, stellt einen der wesentlichen Streitpunkte zwischen Gesellschaftern von Praxisgemeinschaften dar. Hier kann es sinnvoll sein, indikationsbezogene oder andere Zuweisungsregelungen zu formulieren und diese vertraglich festzulegen.
Auch bei der gemeinsamen Anschaffung von Inventar ist Sorge dafür zu tragen, dass die Aufwendungen (sogenannte Beiträge) des jeweiligen Gesellschafters vor der Anschaffung klar definiert werden. Es ist nicht nur zu klären, wer bei der Anschaffung was bezahlt, es ist auch zu klären (und zu dokumentieren!), ob ein ausscheidender Gesellschafter eine "Entschädigung" erhält, wenn er vor einem festgelegten Zeitpunkt aus der Praxisgemeinschaft aussteigt.
Weil bei der Praxisgemeinschaft in der Regel lediglich die gemeinschaftliche Nutzung der Räumlichkeiten im Vordergrund steht, haben Regelungen hinsichtlich der Gewinn- und Verlustverteilung zwischen den Gesellschaftern in Praxisgemeinschaftsverträgen nichts zu suchen.
Das Grundprinzip lautet: Jeder wirtschaftet für sich allein. Lediglich Raumnutzungskosten u. ä. werden im Verhältnis untereinander geteilt. Das Grundprinzip der Einzelpraxis bleibt bestehen.
Wichtig ist, nach außen immer deutlich zu zeigen, dass Einzelpraxen auf dem Markt auftreten. Gemeinsame Schilder und gemeinsames Briefpapier verbieten sich grundsätzlich bei Praxisgemeinschaften. Will man in der Werbung und im Auftritt nach außen "Gemeinsames" schaffen, ist auf den jeweiligen Medien deutlich darüber zu informieren, dass es sich lediglich um eine Praxisgemeinschaft handelt.
Das gilt auch für gemeinsame Internetauftritte: Häufig treten Praxisgemeinschaften gemeinsam nach außen als Gemeinschaftspraxis auf – dadurch können erhebliche Haftungsrisiken für die einzelnen Gesellschafter entstehen. Denn bei der Gemeinschaftspraxis haften alle Gesellschafter gemeinsam für Verbindlichkeiten, die ein einzelner Gesellschafter für die Praxis eingegangen ist.
Die Gemeinschaftspraxis
Im Gegensatz zur oben beschriebenen Praxisgemeinschaft, in der jeder für sich allein am Markt auftritt, schließen sich in einer Gemeinschaftspraxis Physiotherapeuten (Leistungserbringer) zur gemeinsamen Berufsausübung und Gewinnerzielung zu einer Praxis zusammen.
Allein diese Funktionszuweisung macht deutlich, wie völlig unterschiedlich die vertragliche Gestaltung einer Gemeinschaftspraxis im Vergleich zur Praxisgemeinschaft ist. Selbstverständlich können Raumnutzungspläne auch in einer Gemeinschaftspraxis eine Rolle spielen. Wesentlich wichtiger sind aber differenzierte und gerechte vertragliche Gestaltungen hinsichtlich der Gewinnerzielungsmöglichkeiten, der Kostenbelastung, der Mitbestimmung und der Gewinnverteilung.
Besonders wichtig sind die Regelungen, die das Ausscheiden und die Folgen des Ausscheidens eines Gesellschafters regeln. Wer hier nicht oder falsch beraten wird, läuft Gefahr, im Falle des Konflikts katastrophale und existenzvernichtende Überraschungen zu erleben.
Langjährige Erfahrungen in der Beratung von Physiotherapeuten bei der Gestaltung (oder Nichtgestaltung) von Gesellschaftsverträgen zeigen, wie unbedarft und ahnungslos Physiotherapeuten Gesellschaften gründen, ohne auch nur ansatzweise zu begreifen, welche positiven Gestaltungsmöglichkeiten sie nicht genutzt haben und welchen negativen Gestaltungen sie sich unterworfen haben.
Bei der Gründung von BGB-Gesellschaften ist anwaltliche Beratung zwingend erforderlich. Der Physiotherapeut braucht eine Übersicht, welche Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich sinnvoll und für den konkreten Fall optimal sind. Mustergesellschaftsverträge, die man sich irgendwo kopiert oder aus Formularhandbüchern abschreibt, können im Krisenfall die gesamte Existenz nachhaltig negativ beeinflussen.
Heino T. Schumacher
Rechtsanwalt in Hamburg
Login Mitglieder
Gib bitte Deine Mitgliedsnummer und Passwort ein, um Dich an der Website anzumelden:
Passwort vergessen?